True Lies in der Albertina – Xenia Hausner im Gespräch mit Elsy Lahner

True Lies in der Albertina

Xenia Hausner (XH) im Gespräch mit Elsy Lahner (EL)

EL: Für deine Ausstellung True Lies in der Albertina konzentrieren wir uns thematisch auf die Inszenierungen in deinen Bildern, und veranschaulichen im Katalog welche Prozesse diesen vorausgehen. Wie genau können wir uns den Ablauf konkret vorstellen?

XH: Der äußere Ablauf im Atelier ist eher aufwendig und funktioniert in mehreren Etappen: vom Fotografieren bis hin zu einer funktionellen Rekonstruktion der benötigten Szenerie und dem Lichtaufbau, der bei mir wichtig ist – im Grunde wie ein Low-Budget-Filmset. Der innere Ablauf ist das eigentlich Interessante. Er funktioniert durch ein Vor- und Zurück, durch Widerspruch und Infragestellung. Bis die von dir angesprochene »Inszenierung« zustande kommt – von der Rohstoffsammlung bis zum Fragment einer Erzählung – wird viel über den Haufen geworfen. Der tägliche Widerspruch ist offenkundig mein Motor. Irgendwann ist es dann soweit, und es kommt der Befreiungsschlag über die Malerei.

EL: Ist dieser immer wieder eingelegte Rückwärtsgang im Zusammenspiel der Kräfte bei mehrfigurigen Bildern wie den Exiles nicht schwierig?

XH: Ja, zwischendurch sicher verunsichernd für alle Beteiligten. Dreharbeiten mit täglich neuem Skript – ein Horror (lacht). Aber in meinen Bildern spielen oft KünstlerInnen mit, Schauspieler oder Kunststudenten, die sehen den Umweg über einen Zwischenstand nicht so negativ und haben eine solidarische Grundhaltung. Zum Beispiel, wenn das Bild fast fertig ist, und ich füge eine neue Figur ein, die die Komposition so zum Wackeln bringt, dass drei andere Gestalten verschoben werden müssen. Das heißt manchmal den untersten Baustein wieder rausziehen.

EL: Selbst wenn du das Setting fotografiert hast, malst du nicht vom Foto, sondern mit Modellen vor der aufgebauten Szene?

XH: Ja, weil ich den Livekick brauche und Lust am Schauen habe. Die Delle im Fleisch – das bringt mich malerisch in Bewegung. Ich bin beim Fotografieren auch offen für Zufälle, die im Atelier passieren. Malen ist ein irrationaler Vorgang, spontan und widersprüchlich. Ich will nicht, dass zu Beginn schon alles feststeht, es muss etwas Ungelöstes mitschwingen, das ich herausfinden kann. Das ist das Spannende. Das Bild nimmt oft eine überraschende Wendung, auf die ich mich einlassen muss.

EL: So viel Präzision im Vorfeld – die Scheinwerfer, das aufgebaute Setting, all die Markierungen am Boden, die Kürzel für die Lichtpositionen, aufgebaute Zugabteile, zerschnittene Autos und so weiter – um das alles zwischendurch wieder zu verwerfen?

XH: »Verwerfen« trifft es nicht. Vielmehr geht es zwischendurch zu Bruch und aus den Bruchstücken entsteht etwas Neues. Letztlich ist alles, woran ich arbeite, ambivalent und fragmentarisch. Lebensbruchstücke ohne eindeutige Antwort. Ich möchte gar nicht alles ans Licht holen und verstehen. Die Dinge im Halbdunkel zu belassen, ist völlig ausreichend. Die Botschaft ist nicht eindeutig, das Leben ist ja auch nicht schwarz-weiß. Die Situationen auf den Bildern sind ambivalent, aber die BetrachterInnen können sie trotzdem lesen, weil sie davon betroffen sind. Sie lesen das Bild mit ihrem eigenen Lebensfundus.

EL: Das führt ja überhaupt zu der Frage, auf welchen Wegen du zu den Bildfindungen kommst?

XH: Tägliche Übung und beständiges Wachsein – eine Routine der Aufmerksamkeit. Oder anders gesagt, ausgefahrene Antennen für die Seltsamkeiten, die mich grad beschäftigen. Bei den Odd Shapes zum Beispiel (amorphe Formen, Bilder, die nicht rechtwinklig geometrisch sind) habe ich inzwischen so einen Wahrnehmungsautomatismus entwickelt, dass ich nicht nur Anführungszeichen oder barocke Voluten sammle, sondern bei jedem Hundelackerl mein Handy zücke um diesen neusten Formenreichtum festzuhalten.

EL: Ja, hier sprichst du über die formale Besonderheit, aber lass uns vielleicht auf die inhaltliche Ebene zurückkehren – zum Beispiel Rosemaries Baby. Das Bild basiert ja auf einem Stück von Christoph Ransmayr, Die Unsichtbare, das du im Berliner Ensemble gesehen hast. Wie ging’s dann weiter?

XH: Mich hat der Chor magisch angezogen, die schwankenden Gestalten sind mit diesen seltsamen Masken aufgetreten … Ich habe dann Maria Happel und Boris Jacoby in Berlin ins Atelier eingeladen, und sie haben den ganzen Monolog in einer Art Schnelldurchlauf murmelnd memoriert, dabei habe ich fotografiert. Aber im Grunde führen all diese Reizmomente in das eigene Innenleben.

EL: Dein Innenleben und die in der »Exiles«-Serie drängenden Menschen in einem überfüllten Waggon – wie kann ich mir da den Zusammenhang vorstellen?

XH: Was in der Welt vor sich geht, muss irgendwie mit einer inneren Uhr zusammenfallen. Der Stoff ist in mir angelegt, aber es gibt auch eine andere Ebene – eine Wahrnehmung der Welt und dessen, was rund um uns passiert. Die schiebt sich dann in seltsamer Weise vor den inneren Stoff. Der Zug steht nicht nur für Migration im tagesaktuellen Sinn, sondern ganz allgemein für Wurzellosigkeit und Unzugehörigkeit. Ein Lebenslauf des Nichtankommens ist mir vertraut. Xenia heißt »die Fremde« – ein Name, der schön klingt und das Leben nicht einfacher macht. (lacht).

EL: Wir haben dieser Ausstellung den Titel True Lies gegeben. Was verstehst du darunter?

XH: Ich nehm‘s in erster Linie als Lyrik und lass es auf mich wirken. Mit meinen Bildtiteln ist es ja so ähnlich – sie sind nicht deskriptiv, treffen aber einen Nerv des Geschehens. Wenn man aber weiterdenkt, so gibt es diese Sehnsucht nach Eindeutigkeit, nach Gewissheit, an der man sich orientieren kann. Das nennt man dann Wahrheit. Wir leben doch immer mit unseren jeweiligen Annahmen der Wirklichkeit, die sich meistens als Irrtümer, als Wahrheiten bis auf Weiteres erweisen. True lies, also »wahre Lügen«, lügen mit Bedacht und behaupten, trotz aller Erfahrung gäbe es so etwas wie Hoffnung und Zuversicht, wobei sie nur deshalb wahr als Werte sind, weil wir sie behaupten und auf ihre Wahrhaftigkeit bestehen. Jedes Kunstwerk, wenn es denn gelingt, lügt die Wahrheit herbei. Die gemalte, festgehaltene, komponierte Besonderheit ist die Lüge, die die Wahrheit des Subjekts beschwört. Über die Erfindung und über die Fiktion lernen wir die Welt besser zu verstehen – darum geht’s ja in der Kunst. Ich male Romane, erfundene Geschichten, die der Betrachter mit seinem eigenen Leben zur Deckung bringen kann.

EL: Was natürlich auch für jeden Betrachter, für jede Betrachterin ganz unterschiedlich sein kann.

XH: Absolut, das soll auch unbedingt so sein. Ich bin manchmal völlig fasziniert, wenn ich höre was manche sich zu meinen Bildern denken. Letztendlich muss das Bild nur als Projektionsfläche taugen – diesen doppelten Boden muss es mitbringen. Ich gebe keine Gebrauchsanweisungen oder Leseanleitungen. Im Gegenteil. Eindeutige Lesarten sind langweilig. Das Leben ist ein Fragezeichen. Kunst muss geheimnisvoll, unangepasst und irrational sein.

EL: Deine Modelle nehmen ihre Rolle ein und bleiben bis zu einem gewissen Grad sie selbst, gleichzeitig werden sie zu den Akteuren in deiner Inszenierung.

XH: Es ist immer eine Gratwanderung. SchauspielerInnen sind nicht naiv in ihren Mitteln. Aber bei mir ist kein schauspielerisches Virtuosentum gefordert, sondern eher die Type. Modelle sind entgegen ihrer Selbstwahrnehmung nicht passive Objekte, sie sind die handelnden Akteure, mit ihnen nehme ich die Spur auf und verfolge sie weiter. Malen und Machen ist sinnlich und funktioniert über ungebremstes Ausprobieren. Wer sich auf diesen Prozess im Atelier einlässt, trägt die Entstehung des Bildes mit. Er schiebt sich sozusagen ins Bild hinein, oder, wie ich grad im Zusammenhang mit Adorno gelesen habe, er ist »in Perspektive nur dadurch zu rücken, dass man noch näher an ihn heran, dass man in ihn hinein geht …« – eine Bemerkung, die mich glücklich macht.

EL: Dann würde ich gerne noch auf ein anderes größeres Thema mit dir zu sprechen kommen. Du arbeitest vorwiegend mit weiblichen Modellen. Wie kam es dazu – wahrscheinlich ausgehend von dir selbst als deinem ersten Modell?

XH: Mein allererstes Modell war eigentlich meine Mutter und die Zeitungsschönheiten aus den Illustrierten der Fünfzigerjahre – die habe ich groß mit Kreide auf eine Tafel gezeichnet.

EL: Also erste erkennbare Muster…? Es gibt ja aus 2003 die Arbeit Das weibliche Maß – zwei Frauen verbunden oder besser „vermessen“ von einem großen Lineal. Frauen als das Maß der Dinge könnte man sagen…

XH: Ja genau, geradezu prophetisch aus heutiger Sicht – die vorweg genomme Umkehr der Machtverhältnisse. Oder um mit Kehlmann zu sprechen – die Vermessung der Welt aus weiblicher Sicht.. Frauen sind Dreh- und Angelpunkt in meiner Arbeit, in den Bildern agieren sie stellvertretend für alle Genderzugehörigkeiten.

EL: Obwohl zum Beispiel in Ken Park ein Mann die zentrale Figur ist.

XH: Ja, es gibt sie immer wieder zwischendurch – als Sehnsuchtsobjekte! Mein female gaze umschlingt ihn liebevoll kritisch. Aber sonst arbeite ich die Menschheitsthemen in weiblicher Besetzung ab. Frauen sind vielschichtiger und komplizierter als Männer, sie können mehr und sind formal interessanter. Meine Figuren sind keine Pin-Up-Schönheiten, eher ausgeprägte Persönlichkeiten. Ich finde sie kunstfähiger, früher hätte ich gesagt, sie sind das schönere Geschlecht – das würde ich heute anders formulieren …

EL: Du zeigst auch nicht das »schöne Geschlecht«. Du löst die Frauen eigentlich komplett aus allen Klischees. Weder ist die Frau bei dir Verführerin, noch befindet sie sich in einer Opferrolle. Die Frauen können bei dir Alles sein.

XH: Das sollen sie doch auch! Sie müssen stark und mehrdimensional sein. Bei mir sind sie selbstbewusst und sehnsüchtig zugleich – ein toxischer Cocktail. Sie werden oft als besonders kritisch empfunden. Mir fällt das gar nicht mehr auf, wahrscheinlich weil ich selber so anstrengend kritisch bin. (lacht)

EL: Deine Werke sind so eine Art Gegenwelt – die ganze Kunstgeschichte ist von Männern dominiert, und hie und da gibt es eine betörende Frau aus männlicher Sicht dargestellt.

XH: Man könnte sagen, meine Figuren sind lustvoll aber nicht sexistisch. Mit ihrem indiskreten Blick sind sie in einer Zwiesprache mit mir und natürlich auch mit den BetrachterInnen. Sie sind keine Opfer und agieren aus einer Position der Stärke – das ist vermutlich ihre Schwachstelle im heutigen Diskurs. Und der Preis für die Freiheit, die sie sich nehmen, ist hoch.

EL: Jessa Crispin fasst es in ihrem Essay gut zusammen, wenn sie sagt, es geht weniger um die Art des Blicks als darum, was der Blick auf ein Objekt mit einem selbst als Betrachter macht. Man könnte es auch ganz anders sehen: Indem Frauen bei dir jede Rolle spielen und auch die männliche Welt mitverkörpern, bieten sie für jeden eine Möglichkeit, sich mit den dargestellten Personen zu identifizieren. Es ist also nicht unser Blick auf jemanden gemeint, sondern die Rolle, die wir selbst in der dargestellten Situation einnehmen. Also im Grunde geht es darum, dass wir uns, wie du vorhin gesagt hast, in ihr erkennen.

XH: Ja, und wenn mir jetzt zum Schluss noch die einfältige Bemerkung gestattet ist – zweitausend Jahre Patriarchat haben uns in das Elend der aktuellen gesellschaftlichen Krisen geführt. Versuchen wir es jetzt einmal mit weiblicher Intuition – und mit weiblicher Vernunft! Rettung ist nicht gesichert, aber als Möglichkeit zumindest vorstellbar.

 

 

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