ueberleben

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XENIA HAUSNER
ÜberLeben

Brandstätter Verlag, 2012
120 Seiten mit Abbildungen in Farbe
20 x 24 cm, gebunden
Deutsch/Englisch
ISBN: 978-3-85033-715-1

Informationen

Mit einem Vorwort von Prof. Agnes Essl, Essays von Alexandra Matzner, Rainer Metzger, Elmar Zorn und einem Interview des Kurators Günther Oberhollenzer mit Xenia Hausner.

Rainer Metzger
Vom Werk zum Œuvre Drei Stichworte zur Kunst von Xenia Hausner

Um damit zu beginnen: Xenia Hausners Bilder sind Ergebnis einer unerhörten Sorgfalt. Einer Sorgfalt, mit der Kamera und Pinsel eingesetzt, Oberflächen gefüllt, Relationen hergestellt und Abstände beherzigt werden, mit der Nonchalance auf Entschiedenheit und eine gewisse Unbeteiligtheit auf das unermüdliche Engagement trifft. Einer Sorgfalt, mit der eine Unmenge an Vorarbeit geleistet wird, arrangiert, organisiert, inszeniert wird, mit der Modelle gebaut, Stellagen und Staffagen erstellt und Posen erdacht werden.

Das physiognomische Spiel, das Xenia Hausners Antlitze anbieten, kann man auch verlieren. Figuration bringt eine im Wortsinn unkünstlerische Komponente ins Spiel. Figuration versagt sich dem lückenlosen Aufgehen in der Autonomie. Figuration hantiert mit Realität, und das Tertium Comparationis zwischen Realität und Bild ist Mimesis, ist Nachahmung einer physischen Gegebenheit. Genau dieser Weltbezug sorgt für den Fremdbezug. Figurative Bilder lassen sich nicht ungebrochen einpassen in die Radikalisierungsgesten, die Überbietungsdynamiken und die Progressionsentwicklungen, von denen das letzte Jahrhundert immer träumte. Deshalb galt in den Zeiten der orthodoxen Moderne Figuration als reaktionär. Doch in ihrem trotzigen Beharren auf Weltzugang ist Figuration bestenfalls zeitlos. Sie ist jeweils so zeitverhaftet wie die Wirklichkeit, die sie sich vornimmt. Figuration lebt von Referenz, so oder so. Ein wichtiges Moment in dieser Bezugnahme auf die Welt ist allerdings nicht bildnerisch. Es ist sprachlich. (…)

In Anbetracht der namenlosen Kunstgebilde, die im „ad hoc“ des künstlerischen Arbeitens entstehen, liefert die Benennung per Titel einen notorischen Apparat, der den endlosen Prozess des Hinzudenkens, Hinzufügens, Hinzumalens – und auch das Übermalen ist ein additiver, kein subtraktiver Vorgang – in einem bestimmten Moment arretiert. Zunächst ist damit für Prägnanz gesorgt, der Titel ist eine Art Schlussredaktion. Das Bild wird gewissermaßen persönlich, indem es einen Eigennamen bekommt. Man hat es sich anverwandelt, hat die diskrete Anschauung der Phänomene, die sich auf der Leinwand befinden, in den konkreten Umgang mit ihnen überführt. Nun kann man dieses Gebilde entlassen, kann es in die Welt schicken, denn es ist mit einer eigenen Subjektivität – und das heißt von Künstlerwarte aus: mit einer eigenen Objektivität – versehen. (…) Sehr oft bedient sich Xenia Hausner des Prinzips Bild im Bild, zitathaft tauchen Schriftzüge, Gegenstände, Posituren auf, die nicht einfach Motive sind, sondern eine gewisse Einschlägigkeit aus anderen bildlichen Kontexten besitzen. (…)

 

Alexandra Matzner
Frauen ohne Eigenschaften? Zu Xenia Hausners Rollenspielen und der unerschöpflichen Rätselhaftigkeit ihrer Bildfindungen

Frauen – oftmals in geheimnisvollen Aktionen miteinander verstrickt – sind augenscheinlich die Hauptdarstellerinnen in Xenia Hausners Œuvre. Frauen seien einfach das schönere Geschlecht, so erklärt die österreichische Künstlerin seit Jahren ihre bevorzugte Motivwahl. Dennoch möchte sie sich als Menschenmalerin verstanden wissen, stehen die Frauen doch auch stellvertretend für das männliche Geschlecht. Es sind zumeist die Gesichter, die die Künstlerin faszinieren und deren Strukturen teils fein und realistisch gemalt, teils mit dicken Farbflecken beschrieben werden. Der expressive malerische „Zugriff“ der Künstlerin habe, so assoziierten einige Interpreten in der Vergangenheit, gleichsam zu blaugrünen Hämatomen geführt2. Immer wieder spielt auch die so symbolträchtige Farbe Rot eine Hauptrolle, ist sie doch gleichermaßen Metapher der Liebe und des Begehrens wie des Leidens.
Hausners lust- wie leidvolle Materialschlachten an der Staffelei schließen die Bildträger mit ein, denn sie lässt sich seit einigen Jahren nicht mehr von anfangs gewählten Formaten einschränken: Im Laufe der Arbeit wachsen oder schrumpfen diese je nach Bedarf. Das angestückelte Material, oft Karton, wird dabei in seiner kontrastiven Materialität betont.

Hausners Menschenbilder sind damit auf den ersten Blick ganz aus der Materie entwickelt und entspringen doch einem befruchtenden Dialog mit der Fotografie, wie die Künstlerin unumwunden zugibt. Sie zeigen, wie die Kompositionen in einem langwierigen Arbeitsprozess entstehen, in dem die Künstlerin sogar in die Rollen ihrer Modelle schlüpft. (…)

Die scheinbare Aufhebung der Grenze zwischen Fotografie und Malerei durch das Herstellen einer hybriden Form markiert eine zentrale Fragestellung in Xenia Hausners Œuvre. Die Trompe- l’Œil-Effekte der Malerei und der traditionell mit Realitätswiedergabe eng verknüpfte Abbildungsmechanismus der Fotografie verschmelzen zu innerbildlichen Erkundungen über Realismus, Wiederholung und Virtuosität. Oder anders formuliert: Dem Foto wird Realität entzogen, der Ölfarbe wird sie als der besseren, weil wirkungsmächtigeren Garantin für den Realitätsbezug zugesprochen. (…)

Erinnerung, Repräsentation und eine unmittelbare Ansprache an die Betrachterinnen und Betrachter sind die althergebrachten Funktionen von Porträts und Figurenbildern. Im Zuge einer Erörterung des malerischen Werks von Xenia Hausner kann man ergänzen: Das Gesicht wird nicht nur präsentiert, sondern von der Künstlerin und den Betrachtern neu geschaffen. Dieser Spannung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung sucht Xenia Hausner seit den 1990er-Jahren in enigmatischen Kompositionen mit verwirrenden Bildtiteln nachzuspüren.

Oftmals sind es Zweier- oder Dreiergruppen, die das Geschehen bestimmen. Immer geht es um selbstbewusstes Schauen und/oder Angeschautwerden. Häufig blicken die überlebensgroßen Protagonistinnen unumwunden aus den Bildräumen, und verwickeln den Betrachter in stumme Dialoge. Selten sind die Handlungsträgerinnen so mit sich selbst beschäftigt, dass man als Betrachter einen Beobachterstandpunkt einnehmen kann. Die Blickregie in den Bildern Xenia Hausners ist wohl kalkuliert, konzeptueller Kern ihrer künstlerischen Arbeit und bezeichnet metaphorisch ihre Suche nach dem Selbst. (…)

Der Malerin geht es nicht um anekdotenhaftes Nacherzählen möglicher oder auch unmöglicher Situationen, sondern um nichts weniger, als die Wahrheit in einer bruchstückhaften Narration und „jenseits des Gemalten“ (Wieland Schmied) einzufangen. Die Darstellungen sowohl der Körper als auch der sie umgebenden Räume sind beziehungslos arrangiert oder widersprechen einander gar. Damit forciert Hausner die subjektive Wahrhaftigkeit ihrer malerischen Illusionen, deren Wert sich aus Aussagen über das Leben generiert. (…)